Tag 7 – Mittwoch, der 22.04.2015 – Fahrt zum Camp
Um 05:15 Uhr früh haben wir uns zum kurzen Frühstück getroffen. Anders als im Herbst, war es dieses Mal schon hell. Punkt sechs Uhr ging es dann los ins Camp nach Musikot im Bezirk Rukum. Rukum war in der Zeit der Maoisten eine Hochburg der Revolution und sehr schwer zu erreichen. Erst in den letzten Jahren wurden Straßen in diese Region gebaut. Da die Gegend aber weiterhin sehr, sehr abgeschieden ist, gibt es in Rukum fast keine medizinische Spezialversorgung.
Auf dem Weg nach Kathmandu haben wir dann das ganze Team eingesammelt. Die Fahrt über die Berge war wieder sehr aufregend. Als wir wieder im Terai waren, konnten wir die Weite des Landes genießen.
Auf den Straßen war wieder alles unterwegs: PKW, Busse, Lastwagen, Fahrräder, Motorräder, Rikschas, Pferdekarren, Traktoren, Pferde mit Reitern und Fußgänger als Lastenträger. In jedem Ort konnten wir besondere Szenen beobachten: Menschen beim Frisör, wie Wasser aus Brunnen gezogen wurde, Schneider, die im Eingang ihrer Läden genäht haben, Häuser, die mit Gerüsten aus Bambus gebaut wurden, Messerschleifer (natürlich mit offen liegendem Treibriemen) und Menschen, die sich in Flüssen oder an Wasserstellen gewaschen haben.
In den Dörfern, wenn wir langsam fahren mussten, trafen uns immer wieder erstaunte Blicke, vor allem Vivien mit ihren langen blonden Haaren, die am Fenster hinter mir saß und mich. Viele Menschen schienen nicht glauben zu können, was das für komische Wesen im Bus sind.
Am Abend sind wir dann um 20:15 Uhr, nach vielen Stopps in den aufregendsten Restaurants (und interessanten hygienischen Bedingungen), in unserem Hotel angekommen. Dort haben wir noch etwas zu essen bekommen. Dr. Hussmann und ich haben uns wieder ein Zimmer geteilt. Glücklicherweise hatte unsere Toilette eine Dusche, so dass ich mir den Staub des Tages, besonders aus den Haaren, waschen konnte. Die Toilette ist dann in der Regel für die nächsten Stunden nicht betretbar, da alles nass ist, denn es gibt keine Duschkabine oder Vorhang.
Tag 8 – Donnerstag, der 23.04.2015 – Reifenpanne und Einrichtung des Camps
Am Morgen klopfte es um 5:45 Uhr an der Tür: Wir sollten uns zum Frühstück fertig machen. Abfahrt war dann um 7:00 Uhr. Nach ca. einer Stunde ging es in die Berge und wir fuhren auf einer sehr interessanten Straße über Schotterpisten und durch Flüsse in den Bezirk Rukum. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit wird nicht über 20km/h gelegen haben.
Am Vormittag haben wir eine Teepause in einem Café gemacht, neben dem ein kleines Hospital war. Wir haben einen der Ärzte gefragt, ob wir es uns ansehen dürfen. So haben wir eine Tour durch ein Krankenhaus mit nur einem Stationszimmer bekommen. Aber trotz der einfachen Verhältnisse haben die Patienten zumindest die Chance, eine Behandlung zu bekommen.
Dann stellte sich heraus, dass bei unserem Bus ein Reifen repariert werden musste. In einer Werkstatt wurde dieser dann inmitten von viel Staub und Sand gewechselt. Auch das war beeindruckend. Wir konnten in der Zeit einen Rundgang durch die kleine Stadt machen. Anschließend ging es für ca. fünf Minuten weiter, bis der nächste Halt für die Mittagspause eingelegt wurde.
Durch Täler mit imposanten Terrassen, welche vermutlich über viele Jahrhunderte angelegt worden sind, ging es dann über viele Pässe nach Musikot.
Hier gibt es nur wenige richtige Straßen und unser Hotel liegt an einem nicht befahrbaren Weg, so dass wir unser Gepäck einen Geröllweg hinabgetragen mussten. Aber das Hotel hat überraschenderweise Internet, zwar nur minutenweise und wenn nicht gerade der Strom ausgefallen ist, aber immerhin. Es ist für nepalesische Verhältnisse sehr luxuriös. Nach einem Tee sind wir dann ins Krankenhaus gefahren. Während eines Gewitters haben wir gemeinsam den Bus entladen und angefangen, den OP zu beziehen. Bis das Notstromaggregat lief, hat es etwas gedauert und das Team hat im Schein der Mobiltelefone gearbeitet. Bis wir einen funktionsfähigen OP haben, ist noch einiges zu tun.
Um 19:30 Uhr ging es dann zurück zum Hotel und nach einem Bier haben wir Abendbrot gegessen. Morgen früh um 7:30 Uhr geht es weiter. Ab 9:00 Uhr wollen wir Patienten untersuchen.
Tag 9 – Freitag, der 24.04.2015 – Erdbeben
Am Morgen sind wir gleich früh ins Krankenhaus gefahren. Das Wetter war ein Desaster, es regnete in Strömen. Trotzdem haben schon die ersten Patienten gewartet. Sie waren um vier Uhr morgens zu Hause losgelaufen und nach fünf Stunden Fußmarsch im Krankenhaus angekommen. In einem Gebäude des Krankenhauses haben wir uns einen Untersuchungsraum eingerichtet. Zu Beginn hatten wir nur minutenweise Strom, so dass wir Kerzen aufgestellt haben und die Patienten beim Schein von Mobiltelefonen untersucht haben.
Bis zum Mittag haben wir viele Patienten, mit zum Teil abenteuerlichen Erkrankungen und Folgen von Verbrennungen, gesehen. Für einige haben wir sofort Termine für eine Operation am selben Tag oder an den Folgetagen vereinbart. Patienten, die eine komplexere Operation benötigen, haben wir ins Krankenhaus einbestellt. Bei einigen Patienten konnten wir keine Hilfe anbieten: Akute Bauchschmerzen, psychiatrische Probleme, kleine Narben oder Verstümmlungen, bei denen man nichts mehr verbessern kann.
Gegen Mittag wollten Jürgen Hussmann und ich dann in eine Hütte etwas Essen gehen, als auf dem Weg dorthin die Erde anfing zu wackeln. Es war wie auf dem Jahrmarkt, wenn man über eine sich bewegende Platte geht. Die Menschen rannten sofort aus den Häusern und schrieen. Die Stromleitungen wackelten. Nach wenigen Stößen war es jedoch vorbei, so dass wir essen gegangen sind.
Auf dem Rückweg, wir wollten gleich anfangen zu operieren, kamen uns Teammitglieder in heller Aufregung und mit panischen Gesichtern entgegen. Sie hatten aus Kathmandu die Nachricht erhalten, dass dort ein starkes Erdbeben war. In der Apotheke der Klinik gab es einen Fernseher, auf dem die ersten Nachrichten liefen. Die Ärzte und Schwestern versuchten verzweifelt, Ihre Familien zu erreichen. Das gesamte Handynetz war zusammengebrochen. Nach vielen Versuchen haben dann die Ersten ihre Familien erreicht. Für etwa eine Stunde wurde pausenlos versucht, zu telefonieren. Die Gesichter der Menschen waren voller Panik und Angst. Wir haben auch versucht, unser Krankenhaus in der Nähe von Sankhu zu erreichen. Allen Mitarbeitern und Kollegen, auch aus Deutschland, ging es gut. Die Patienten strömen in die Klinik.
Wir haben dann auch unsere Familien in Deutschland angerufen, um zu berichten, dass es ein Erdbeben gab und es uns gut ging. Da es in Deutschland früher Samstagmorgen war, hatten die Familien noch nichts gehört. Die nächsten Stunden haben wir dann damit verbracht, Fernsehen zu schauen und zu überlegen, ob wir sofort ins Krankenhaus zurückfahren sollten. Die Fahrt dauert zwei Tage. Wir entschieden dann, uns erst einmal um die Patienten hier vor Ort zu kümmern. Am Nachmittag haben wir dann noch sehr viele Patienten gesehen, in der Summe über hundert, und für den kommenden Tag die ersten Operationen geplant.
Tag 10 – Samstag, der 25.04.2015 – Der Tag nach dem Erdbeben
Am Sonntag endete unsere Nacht bereits um 4:30 Uhr. Ein kleines Erdbeben erschütterte unser Hotel und viele Gäste flüchteten schreiend aus ihren Zimmern. Ich muss gestehen, dass ich erst von den Geräuschen wach geworden bin. Bei uns ist aber nichts passiert.
Nach dem Frühstück ging es ins Camp, dort haben wir sofort angefangen zu operieren. Die Mitarbeiter aus Nepal standen in ständigem Kontakt mit ihren Angehörigen. Von zwei Kollegen sind die Häuser zerstört worden, die Familienangehörigen sind aber glücklicherweise nicht verletzt. In unserem Krankenhaus wurden ca. 75 Patienten aufgenommen, leider haben einige von ihnen nicht überlebt. Die Kollegen vor Ort (Napali und Deutsche) haben unaufhörlich gearbeitet.
Auf den Fernsehbildern haben wir die Zerstörung in Kathmandu, aber auch in vielen anderen Regionen Nepals gesehen. Die Tempel am Durbar Square hatten Jürgen Hussmann und ich weniger als 72 Stunden vor der kompletten Zerstörung besucht. In Bhaktapur waren wir letztes Jahr am ersten Advent.
Am Mittag wurde dann entschieden, dass wir uns auf den Weg zurück nach Kathmandu machen. Das Camp wurde also abgebrochen. Bis ca. 19:30 Uhr haben wir noch alle Patienten des Tages operiert, dann wurde zusammengepackt. Während einer Operation gab es beim Anlegen des Verbandes wieder ein kleines Erdbeben, aber unsere Gebäude trugen keine Schäden davon.
Bis 22:00 Uhr wurden alle Sachen gepackt und auf den Bus geladen. Nach einem kurzen Abendessen ging es ins Bett, da wir früh aufstehen wollten.
Tag 11 – Sonntag, der 26.04.2015 – Rückfahrt nach Kathmandu
Heute sind wir um 5:15 Uhr aufgestanden und um 6:00 Uhr ging es los nach Kathmandu. Leider hat vieles nicht so geklappt, wie geplant. Da es in den letzten Tagen viel geregnet hatte, waren die Straßen teilweise in sehr schlechtem Zustand. An einer steilen Stelle war bei einem LKW das Differential gebrochen, deshalb konnten Busse und LKW nicht mehr weit genug ausholen und kamen nicht den matschigen Berg hinauf. Wir saßen also fest. Zum Glück hatte einer der LKW einen Bagger geladen. Dieser wurde auf sehr unkonventionelle Weise entladen und der Baggerführer, er sah nicht älter aus als 16, baute in einer halben Stunde die Straße wieder auf. Wir waren alle sehr beeindruckt. Ein Bus, der es auch auf der neuen Schotterpiste nicht schaffte, da er zu lang war und hinten aufsetzte, zog er einfach den Berg hinauf. Nach ca. einer Stunde konnten wir dann die Stelle passieren.
Leider hatten wir dann auch noch eine Reifenpanne, bereits die zweite auf der Strecke und ein kleines Indiz für den Zustand der Straßen, so dass wir viel Zeit verloren. Der Flieger, den Jürgen und ich geplant hatten, war realistisch nicht mehr zu erreichen.
Wir haben uns daher entschieden, beim Team zu bleiben und gemeinsam nach Kathmandu zu fahren. Im nächsten größeren Ort wurde dann der defekte Reifen repariert und wieder gegen das Ersatzrad ausgetauscht. Dann ging es weiter.
Gegen 20:00 Uhr sind wir recht erschöpft in Butwal, ca. 30km von der indischen Grenze entfernt, angekommen. Im Hotel konnte ich wieder einmal richtig duschen. Beim Abendbrot haben wir Nachrichten ausgetauscht. In unserem Krankenhaus ist schon ein Team von Unfallchirurgen aus Deutschland eingetroffen. In den nächsten Tagen werden alle Patienten operiert. Ein großes Problem ist, dass am Flughafen viele Hilfsgüter und Teams warten, die Regierung aber nicht in der Lage ist, die Hilfe zu koordinieren. Vieles kommt nicht bei den Menschen an.
Tag 12 – Montag, der 27.04.2015 – Kathmandu und Sankhu Krankenhaus
Wir fuhren schon früh am Morgen von unserem Hotel los. Nach nur einer halben Stunde sind wir jedoch zum Frühstück in einem kleinen Restaurant eingekehrt. Bei Tee und Keksen waren wir voller Erwartung, was uns der Tag bringen würde.
Je näher wir nach Kathmandu kamen, desto mehr Busse, die bis aufs Dach mit Menschen gefüllt waren, kamen uns entgegen. Etwa vier Stunden vor Kathmandu haben wir noch einen langen Stopp gemacht, um Lebensmittel und Wasser einzukaufen. Wir hatten mehrere hundert Kilo Reis im Gepäck. Die Stimmung war etwas gedrückt, da niemand wusste, was ihn wirklich erwartet. Bei zwei der 14 Mitreisenden war ja das Haus komplett zerstört.
Als wir die Gebiete erreichten, in denen die ersten Häuser zerstört waren, hatten die Menschen aus Planen provisorische Zelte aufgebaut und ihre Betten hineingestellt. Auch zwischen LKWs waren Planen aufgespannt unter denen Menschen saßen. Uns kamen aus Kathmandu dann vor allem volle Busse entgegen, nach Kathmandu hin fuhren LKWs mit Nahrungsmitteln und leere Busse.
In den Außenbezirken von Kathmandu waren einige Häuser zerstört und auf den Freiflächen standen auch provisorische Zelte. Die Stadt war insgesamt sehr leer, die meisten Geschäfte hatten geschlossen. Der Verkehr lief sehr ruhig und in den offenen Geschäften und an den Ständen gab es Lebensmittel zu kaufen. Auf dem Weg stiegen dann die meisten einheimischen Campteilnehmer mit ihrem Gepäck und den gekauften Lebensmitteln aus und wurden von Familienangehörigen abgeholt.
In der Nähe unseres Krankenhauses waren vor allem sehr alte Häuser kaputt. Auf einer Wiese war eine türkische Suchtruppe einquartiert die nach Erdbebenopfern gesucht hat.
Im Krankenhaus wurden wir sehr herzlich empfangen. Besonders Hein Stahl war sehr froh, dass sein ganzes Team wieder zuhause war. Am Abend vorher war ein Interplast-Team eingetroffen, das sich am Sonntag in Deutschland auf den Weg gemacht hatte. Es waren zwei Chirurgen und zwei Anästhesisten. Mit ihnen haben wir dann den Abend verbracht und uns alle gefreut, dass wir gesund waren.