Nepal-Blog: Frühling 2015 – Teil 1

Am 30. April ist Herr Dr. Lohmann sicher und gesund wieder in Berlin gelandet. Von seinen Erlebnissen in Nepal können Sie sich in diesem Blog ein Bild machen.

1996 gründete der gemeinnützige Verein INTERPLAST Germany e. V. ein medizinisches Hilfsprojekt für Plastische Chirurgie in Kathmandu. In Kooperation mit dem nepalesischen Partner Sushma Koirala Memorial Trust wurde das Sushma Koirala Memorial Hospital (SKM-Hospital) in Sankhu eröffnet. Es trägt sich fast ausschließlich aus privaten Geld- und Sachspenden, die überwiegend aus Deutschland kommen. Zusätzlich wird das Projekt durch den vielfältigen ehrenamtlichen Einsatz vieler engagierter Ärzte und Helfer, die nach Nepal reisen, unterstützt. Alle ausländischen Ärzte und Fachkräfte arbeiten ausschließlich ehrenamtlich unentgeltlich und zahlen in der Regel ihre Flüge selbst. Auch die benötigten Lebensmittel und Getränke für das Frühstück und Abendessen bringen die ehrenamtlichen Helfer von zu Hause mit.

Bereits im Herbst 2014 reiste Dr. Rüdiger Lohmann für zwei Wochen nach Nepal, um dieses Projekt zu unterstützen. Kein halbes Jahr später, am 16. April 2015, hat er sich zusammen mit Dr. Hussman wieder auf den Weg nach Nepal gemacht. In diesem Blog berichtet Dr. Lohmann täglich von seinen Erfahrungen und beschreibt die Verhältnisse im Krankenhaus und im Camp.

Weitere Informationen zu dem Hilfsprojekt finden Sie hier: http://www.nepalhospital.de/

Situation in Sankhu kurz nach dem Beben, Erstversorgung

In der Nähe des Krankenhauses in Sankhu sind viele Häuser zerstört. Von Momo, einer Krankenhausmitarbeiterin, die sich um die ausländischen Gäste kümmert, sind acht Familienangehörige ums Leben gekommen. Viele Mitarbeiter haben ihre Häuser verloren. Mehr als 50 Menschen werden dort noch vermisst.
Hein Stahl hat ja die ersten Stunden nach dem Erdbeben auf der Website des Krankenhauses beschrieben. Da auf absehbare Zeit dort kein Internet zur Verfügung steht, werden wenig neue Nachrichten von Hein kommen.

Mittlerweile ist wieder mehr Routine in den Krankenhausbetrieb eingekehrt. Die Patienten, die in der Garage unterkommen mussten, wurden mittlerweile verlegt. In den nächsten Wochen werden noch viele Frakturen operiert. Aktuell ist Verbandsmaterial knapp und Implantate und Schrauben sowie Nägel für die Unfallchirurgie fehlen.

Tag 1 – Donnerstag, der 16.04.2015 – Anreise

Vor dem Abflug nach Kathmandu fuhr ich am Donnerstag kurz nach 16:00 Uhr, nach dem letzten Termin auf der Medizin-IT Messe conhIT, ins Büro um dort noch die letzten Dinge zusammenzupacken. Dazu gehörte auch das Computersystem für Nepal. Zu Hause habe ich dann noch die letzten Sachen im Koffer verstaut und mit der ganzen Familie zu Abend gegessen. Im Anschluss brachten mich meine Frau und unsere drei Kinder zum Flughafen.

Am Flughafen erwartete mich Herr Dr. Hussmann schon in der Lounge und wir warteten gemeinsam auf den Abflug nach Abu Dhabi. Der Flug war sehr entspannt. Wir hatten ein tolles Team von Stewardessen, mit denen wir viel lachen konnten. Nach einem vierstündigen Aufenthalt in Abu Dhabi, ging es weiter nach Kathmandu. Vor der Landung musste das Flugzeug noch einige Warteschleifen über dem Flughafen fliegen. Neben der Landebahn stand noch die Anfang März verunglückte Turkish Airlines Maschine. Deren Logo war allerdings schon übermalt , wie es bei verunglückten Maschinen üblich ist.

Hein Stahl holte uns vom Flughafen ab und wir waren für einen nepalesischen Tee im Kanipur Temple House, einem der luxuriösesten Hotels der Stadt. Danach tauchten wir dann wieder in die Realität ein und fuhren bei Regen im Feierabendverkehr zum Krankenhaus.
Dort kamen wir pünktlich zum Abendessen an. Zurzeit ist ein Team aus dem Bereich Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, ein Anästhesist und eine Krankenschwester aus Deutschland vor Ort. Nach dem Essen wurden wir noch zu einer Patientin gerufen, die sich mit Kerosin verbrannt hatte. Über 80% ihrer Körperoberfläche waren betroffen. Es war beängstigend wie ruhig alles war. Ohne Geräte und Piepen, ohne Infusion etc. lag sie auf einer Trage in Verbände eingewickelt. Sie sollte zur Intensivtherapie in ein anderes Krankenhaus weitertransportiert werden. Leider liegen ihre Überlebenschancen bei fast 0%, obwohl sie voll ansprechbar war.

Tag 2 – Freitag, der 17.04.2015 – Ausflug mit Hindernissen

Der Samstag ist in Nepal ein arbeitsfreier Tag, so dass im Krankenhaus keine Operationen stattfanden. Am Morgen haben wir uns mit vielen Leuten aus der Administration getroffen und die nächsten Tage besprochen. Gegen Mittag haben wir uns dann mit Herrn Dr. Hussmann, ein Professor für Mund-Kiefer-Gaumen-Operationen, und Hein Stahl auf den Weg in ein ca. eine Stunde entfernt liegendes Dorf gemacht. Die Fahrt war wieder einmal ein kleines Abenteuer. Da es am Tag zuvor geregnet hatte, waren einige Teile des Weges, denn Straße konnte man diese Strecke wirklich nicht nennen, mit Schlammpfützen übersäht. Und so kam es wie es kommen musste. Wir blieben mit dem Auto stecken. Erst das mehrmalige Zurücksetzen und ein neuer Versuch mit sehr viel Gas und mutigem Lenken haben uns dann wieder weitergebracht. Hein wurde daraufhin in Hein Röhrl umbenannt. Ich machte mir langsam Sorgen um das Dach des Pick-ups, da wir mehrfach Schlaglöcher erwischten, die tiefer als 30cm waren und ich mit großer Wucht mit dem Kopf gegen das Dach gestoßen bin.

Vom Gipfel des Berges aus, wo sich ein Hotel mit Restaurant befindet, hatten wir einen wunderschönen Blick. Bei idealem Wetter kann man von dort auch den Mount Everest sehen.

Zurück im Krankenhaus angekommen, sahen wir uns eine Frau mit einer Verletzung beider Ellenbogen (Busunfall) an. An der rechten Hand war die Sensorik praktisch ausgefallen, so dass für den nächsten Tag die Freilegung der Nerven eingeplant wurde.

Tag 3 – Samstag, der 18.04.2015 – Erstes Checkpad MED in Nepal

Heute war der erste normale Arbeitstag. Das Krankenhaus ist komplett belegt, so dass die Visite recht lange dauerte. Es war sehr schön die bekannten Ärzte, Pflegekräfte und administrativen Mitarbeiter wieder zu sehen. Zur Begrüßung wurden wir ganz herzlich von ihnen umarmt.

Das Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (MKG) -Team hat in einer aufwendigen achtstündigen OP eine Kiefer-Gaumen-Spalte plastisch gedeckt. Ich habe dann die ersten Schritte unternommen, um die Server hier ins Netz zu bekommen. Das Team war sehr hilfreich und nach ungefähr drei Stunden hatte ich die ersten Daten auf dem iPad. David Leuschner aus Freiburg hat am Sonntagmorgen schon vor dem Frühstück die ersten Tests zur Performance der Server unternommen. Leider ist das WLAN recht instabil, so dass die Server noch unzuverlässig erreicht werden. Daran werden wir in den nächsten Tagen arbeiten.

Am Nachmittag hatten wir eine lange Besprechung mit der Krankenhausleitung, da am Montag eine sehr wichtige Sitzung mit den Trägern des Krankenhauses stattfindet. Viele wichtige Entscheidungen werden dann getroffen. Um gut vorbereitet zu sein, wurden alle Punkte ausführlich ausdiskutiert. Ich werde dort auch kurz die neue IT vorstellen.

Zum Abendessen hat uns Jürgen Hussmann Menü mit Schweinefilet, Gorgonzolasauce, gebratenen Pilzen, Nudeln und diversen Salaten gezaubert. Wir waren alle tief beeindruckt. Wie immer hat das Team danach gemeinschaftlich abgewaschen.

Tag 4 – Sonntag, der 19.04.2015 – Hospital Committee Meeting

Der heutige Tag stand ganz im Zeichen des Hospital Committee Meetings, der obersten Verwaltungsinstanz der Klinik. Dazu gehören das Gesundheitsministerium, der Bezirk und das Dorf. Die Klinikleitung muss mit diesem Komitee alle Entscheidungen abstimmen. Dies betrifft, bis hin zur Strategie der Klinik, alle Einstellungen und Beschaffungen, die über einem bestimmten Satz liegen. Aus Termingründen hat die letzte Sitzung schon vor fast anderthalb Jahren stattgefunden, daher gibt es einen großen Entscheidungsstau.

Morgens wurden die letzten Vorbereitungen für das Meeting getroffen. Zu Checkpad MED habe ich noch schnell ein kleines Flugblatt entworfen. Es gibt verschiedene Internetprotokolle und wir nutzen in Deutschland meist die Version 4. In Nepal vergibt der Server anscheinend nur die Version 6. Da gab es also etwas zu konfigurieren, damit alles funktioniert. Aber glücklicherweise konnte David Leuschner das WLAN-Problem noch rechtzeitig aus der Ferne lösen.

Das Meeting begann dann am Nachmittag etwas verspätet und sehr chaotisch. Der Vertreter des Trusts, der das Krankenhaus betreibt, musste genau zu Beginn des offiziellen Meetings schon wieder zu einem anderen Treffen. Der Vertreter des Gesundheitsministers war bei einer Rede des Ministers in Kathmandu anwesend, so dass er erst nach deren Ende losfahren konnte und eine dreiviertel Stunde zu spät kam. Es waren also zu keinem Zeitpunkt alle Teilnehmer anwesend. Zuerst wurde das Krankenhaus ausführlich vorgestellt, da die meisten Teilnehmer das erste Mal dabei waren. Bei dem anschließenden Rundgang durch das Krankenhaus wurden auch alle technischen Bereiche, wie Frischwassergewinnung, Abwasserversorgung, Notstromaggregate, Werkstatt, gezeigt.

Dann wurde besonders auf die Probleme für ausländische Ärzte hingewiesen. Es gibt wohl viele indische Ärzte, die illegal in Nepal arbeiten. Um diesem Problem entgegenzuwirken, ist das Verfahren, um hier als Arzt arbeiten zu können, sehr aufwändig, langwierig und teuer. Oft ist es selbst bei einem dreiwöchigen Aufenthalt bei der Ausreise noch nicht abgeschlossen. Dies trifft natürlich auch alle Non-Profit-Krankenhäuser. Die Kosten der Arbeitserlaubnis sind so hoch, dass eine nepalesische Familie davon lange leben könnte. Diesem Thema will man sich im Gesundheitsministerium in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsministerium annehmen.

Um die Versorgung von Verbrennungspatienten allgemein zu verbessern, will das Krankenhaus eine Grundweiterbildung in allen von der Regierung und dem Bezirk betriebenen Krankenhäusern anbieten. Heute besteht die typische Versorgung in einem Krankenhaus leider meist darin, dass dem Patienten gesagt wird, er solle nach Kathmandu fahren. Wohin in Kathmandu ist dabei meist unklar. Oft landen die Patienten in privaten Krankenhäusern, die keine Erfahrung mit Verbrennungspatienten haben, aber hohe Kosten verursachen. Da bei der Versorgung von Verbrennungen aber gerade die erste Zeit entscheidend ist, besteht hier dringender Handlungsbedarf.

Die Vorbereitungen für das Camp laufen auf vollen Touren, überall werden Kisten gepackt. Morgen Abend sollte dann alles soweit sein, dass der Bus beladen werden kann.

Tag 5 – Montag, der 20.04.2015 – Erste Patienten in Checkpad MED

Heute war der Tag des Customizing’s von Checkpad MED. Ich habe mir eine Stationsbelegung besorgt und die Stationen des Krankenhauses mit allen Betten in der Software abgebildet. Alle Oberflächen wurden übersetzt und am Aufnahmetool fleißig gearbeitet. In einer dreistündigen HipChat-Konferenz mit David Leuschner haben wir alle Infos ausgetauscht und über den Tag wurde in Freiburg und Kathmandu an der Version gearbeitet. Am Abend waren dann die ersten Patienten in Checkpad MED aufgenommen! Der Server bereitet noch einige Probleme, da er sich manchmal im Halbstundentakt ausschaltet und wieder hochfährt. Den Grund dafür haben wir allerdings noch nicht gefunden. Auch das Stromnetz sollte eigentlich stabil genug sein. Da der Rechner ganz neu ist, kann es auch ein Fehler in einem Speicherbaustein sein. Wir beobachten das jetzt erst einmal.

Am Nachmittag wurde ein Gesundheitserziehungsprogramm abgehalten. Im Anschluss wollten einige Kinder etwas aufführen, so dass wir Pantomime und Tanz mit Gesang bewundern konnten. Im Anschluss hat Trudi dann in Deutschland gespendete Stofftiere an die Kinder verschenkt, was zu sehr großer Freude bei den Kindern und deren Angehörigen geführt hat.

Abends fand dann das Abschiedsessen für Uwe aus Dresden und Uta aus Ludwigshafen statt.

Tag 6 – Dienstag, der 21.04.2015 –  Kathmandu und das Haus der Kumari

Nach dem Frühstück und der Morgenvisite habe ich den Vormittag damit zugebracht, alle aktuellen Patienten in Checkpad MED aufzunehmen. Das war etwas Arbeit, besonders da mir die ganzen Namen hier sehr fremd sind.
Interessanterweise hießen viele Patienten Sherpa. Das ist wohl eine Mischung aus Berufsbezeichnung und Name. Vivien, eine Krankenschwester aus Kiel, hat dann beim Verbandswechsel die ersten Fotos mit Checkpad gemacht.
Das Team, das mit ins Camp fährt, hat praktisch den ganzen Tag mit Packen verbracht.

Am Nachmittag sind Dr. Hussmann und ich nach Kathmandu gefahren. Wir haben uns den alten Palastdistrikt angesehen und waren im Haus der Kumari. Das ist ein Mädchen, welches, meist im Alter von drei oder vier Jahren, aufgrund ihrer Schönheit ausgesucht wird. Ihre Aufgabe ist es dann, bis zur Pubertät hübsch zu sein und sich ab und zu der Öffentlichkeit zu zeigen und ggf. ihre Meinung zu äußern. Der Spuk endet mit der Pubertät. Die armen Mädchen haben dann weder Ausbildung noch Schulbildung und verarmen nicht selten.

Anschließend sind wir mit Rikschas in den Bezirk Thamel gefahren. Dies ist ein Bereich, in dem viele Studenten wohnen und wo entsprechend viele Restaurants und Läden sind. Das ist quasi der Prenzlauer Berg von Kathmandu.
Bevor wir uns dann auf in die Einfachheit des Camps einstellen müssen, waren wir noch in einem der besten Cafes in Kathmandu und haben einen Cappuccino und einen Cafe Latte mit Käsekuchen und Blaubeeren genossen. Mit dem Taxi ging es dann bei strömendem Regen zurück ins Krankenhaus. Hein hat am Abend zum Abschied noch Spätzle gekocht. Dann mussten wir packen, da es am nächsten morgen früh losgehen sollte.

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